Ich hatte ja keine Ahnung! Und das, obwohl Baden bei Wien ja meine Heimatstadt ist. Aber was hat mich die ganze Geschichte und Tradition als Jugendliche schon gekümmert?
Einen feuchten Kehricht!
Auch wenn es mich heute interessiert: Feucht, um nicht zu sagen, nass, bleibt es!
Baden bei Wien bewirbt sich nämlich gemeinsam mit einigen anderen traditionsreichen historischen Kurbädern* unter dem Slogan Great Spas of Europe (Bedeutende Kurorte Europas) um den Status des UNESCO Weltkulturerbes. Und das hat mich neugierig gemacht!
Mit Hilfe des im letzten Jahr erschienenen Buches „An der Quelle sitzen – Badens Schwefel und seine Bäder“ von Susanna Reichert-Freude beschloss ich schon im Juni die Quellen in Baden bei Wien zu erkunden. Da ich damals vergessen hatte, die Schritte zu zählen, ging ich im Oktober nochmals, beide Male an Tagen mit Kaiserwetter, wie diese sonnigen Tage mit dem Hauch des Grandiosen in Österreich heißen. Ganz nebenbei führte die Route auch entlang meiner Wurzeln, oder auch der Quellen meines Lebens.
Ich beginne meine Reise zu den Quellen am Parkplatz hinter der Pfarrkirche St. Stephan, gegenüber der Ballettschule. In letzterer verzweifelte die alte Granddame des klassischen Tanzes, Frau Schüch, daran, mir Brücke, Eleganz und Ballett beizubringen. Etwas mehr Erfolg hatte später ihre Tochter, allerdings mit Stepp- und Jazztanz. In der Kirche St. Stephan wiederum haben sowohl meine Eltern als auch meine Schwester geheiratet.
Ich wende mich nach links, hinten am Stadttheater vorbei Richtung Kurpark, nehme den ersten Eingang und bewundere staunend den Undinebrunnen. Undine war eine Quellnymphe, aber das ist es nicht, was mich fasziniert: Das Gesicht der Statue ist das Gesicht von Mercedes…
Ja genau, der, die der Automarke Mercedes Benz den Namen gab. Ihr Vater Emil Jellinek war einer der ersten Benz-Händler und nahm unter dem Pseudonym Mercedes an der Rennwoche in Nizza teil, was den Namen prägte. Er und seine Familie lebte einige Zeit in Baden bei Wien: Unbekannter Fakt Nummer Eins.
Nummer Zwei: Unter der Sommerarena im Kurpark liegt die Ursprungsquelle, die älteste Quelle, die Badens Ruf als Heilbad begründete. In ihr badeten schon die alten Römer! Man kann sie bei einer Stadtführung besichtigen – die Quelle, nicht die Römer. Leider finden diese nur an Samstagen und das auch nur zweimal im Monat statt.
Badens Quellen sind übrigens heiß und schwefelig. Das Wasser kommt aus dem Schneeberggebiet, fließt unterirdisch auf undurchlässigem Löss bis nach Oberlaa in Wien. Dabei wird es mit Schwefel angereichert und immer wärmer, deshalb ist dort die heißeste Quelle. Es fließt dann entlang der Thermenlinie wieder zurück und tritt gehäuft in Baden in heißen Quellen wieder hervor. Also so habe ich die Erklärung in Erinnerung, schriftliches dazu habe ich nicht gefunden. Jedenfalls sind die heißen Schwefelquellen nicht vulkanischen Ursprungs. Trotzdem haben Erdbeben durchaus Auswirkungen auf die Schüttungen der Quellen, ja eine versiegte nach dem berüchtigten Beben in Lissabon im Jahre 1755 sogar ganz.
Ganz genau ist der Kreislauf noch nicht erforscht, so gibt es noch keine Erklärung dafür, dass die Quelle im Nachbarort Bad Vöslau kalt ist. Aus der Quelle, die das dortige Bad speist, kommt übrigens das Vöslauer Mineralwasser, das es jetzt auch in Deutschland zu kaufen gibt. Das waren gleich ein paar mir bis dahin völlig unbekannte Fakten, sagen wir Drei und Vier.
Ich gehe also leicht enttäuscht wegen der fehlenden Führung weiter, wende mich nach links und seitlich am Casino entlang bis zur Marchetstraße. In die biege ich nach rechts ab, dann bei dem Parkplatzschild wieder nach links. Zwischen alten Kurhäusern führt mich der Weg hinunter zur Römertherme.
Im Juni entdecke ich dort die ersten Fotos einer grandiosen Freiluftfotoausstellung, die einen eigenen Beitrag wert wäre! Ich lasse das, aber diese Fotos werden auf einigen meiner Fotos auftauchen, deshalb erwähne ich es.
Mein Weg führt mich jetzt nach rechts, an der ehemaligen Schwimmschule vorbei zur einzigen Quelle, die direkt und öffentlich sprudelt. Ganz unscheinbar liegt sie da. Sie könnte für einen gewöhnlichen Brunnen gehalten werden. Für mich ist ihre Entdeckung eine Sensation! Warum? Weil sie der unbekannte Fakt Nummer Fünf ist.
Ich folge weiter der Marchetstraße, biege hinter dem Gasthof Ebersbacher (den wir übrigens gerne aufsuchen und der einen neuen Pächter sucht) rechts hinauf in die Mozartstraße. Ich suche Haus Nummer 14. Dort haben meine Eltern gewohnt, als ich geboren wurde, drei Wochen vor der Zeit: Weil meine Mutter meiner Schwester half, deren VW Käfer anzuschieben. Dort in der Mozartstraße verbrachte ich auch mein erstes Weihnachtsfest. Gegenüber von unserem Haus wohnte damals Marika Rökk, eine bekannte und beliebte Operettensängerin.
Ich drehe um, gehe zurück in die Marchetstraße bis zum Buona Casa: Das war das Kinderheim, in dem kranke Kinder ohne ihre Eltern untergebracht waren, damit sie durch Badens Schwefelwasser wieder gesund wurden. Wusste ich das vor der Lektüre des Buches? Natürlich nicht! Fakt Nummer Sechs also!
Fast genau gegenüber wende ich mich nach links und steige die Treppen hinunter in den Doblhoffpark. Ich komme am Teich aus: welch wundervolle Erinnerungen! Einmal nahm mein Bruder mich mit auf eine Schifferltour auf dem Teich. Besonders toll fand ich es, unter die Trauerweiden zu fahren, bildeten ihre Zweige doch fast so etwas wie eine kleine Grotte. Die kleine Steffi, vielleicht sechs Jahre alt, fand das sehr märchenhaft und verzaubernd! Natürlich verweile ich ein wenig, schaue im Frühling den schwimmenden Fotos zu, im Herbst den Enten und den im Licht tanzenden Blättern.
Von dort halte ich mich wieder rechts, Richtung Rosarium. Das ist im Herbst verwaist, im Frühling aber sehr romantisch. Beide Male verliere ich mich im Betrachten der Fotos des österreichisch-amerikanischen Künstlerduos Sarah Cooper und Nina Gorfer. Diese Farben, dieser Ausdruck!
Kurz darauf lächle ich beim Anblick des Balkons des Hotels Gutenbrunns: Ich erinnere mich an eine romantische Ballnacht im Juni, der Rosenball war es, als ich dort oben auf der Brüstung saß und die Nacht genoss. Der junge Mann an meiner Seite erwies sich als nicht erinnerungswürdig, doch mein Vater hatte auf meine Frage, wann ich zu Hause sein muss geantwortet: „Bevor die Sonne aufgeht.“ Das hab‘ ich mir nicht zweimal sagen lassen! Mein Vater tobte, als ich nach Hause kam. Dazu müsst ihr wissen, dass alle meine Freundinnen Angst vor ihm hatten, denn er konnte sehr laut brüllen! Aber er war fair! Als ich ihn ruhig darauf hinwies, dass die Sonne erst in 10 Minuten aufgehen würde, ungeachtet der Tatsache, dass es schon hell war, drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand. Ich wette, er konnte ein Schmunzeln nicht verhindern, wollte es mich aber nicht sehen lassen.
Doch jetzt im Frühling sehe ich mir ein paar Rosen an, überlege, welche ich gerne im Garten hätte und verlasse dann das Rosarium und den Park beim Eingang gegenüber des Hotels Gutenbrunn. An der Helenenstraße gehe ich nach rechts und hinauf zum Strandbad. Das heißt so, weil es einen Strand hat: Nach dem ersten Weltkrieg hatte Österreich keinen Zugang mehr zum Meer. Da kam es gelegen, dass eine neue Quelle, die Marienquelle, entdeckt wurde. Sie speiste das Bad, in dem ein Sandstrand aufgeschüttet wurde – und wird. Als es nach nur 80 Tagen Bauzeit 1926 eröffnet wurde, hatte es das größte Bassin des Kontinents. Gespeist wird das Bad heute allerdings von einer anderen Quelle, der ganz unromatischen Bohrung I unterm Josefsplatz. Habe ich je zuvor davon gehört? Natürlich nicht! Unbekannter Fakt Nummer Sieben und Acht.
Meine Schwester war ein hübsches und tollkühnes Mädchen, sie sprang dort vom 10m Brett. Irgendjemand tratschte das meinen Eltern, die es ihr daraufhin verboten. Ich machte es ihr Jahre später nach, wenn auch nicht sehr oft. Ich war nie so sportlich wie meine Geschwister und heute… Ich sage nur: Canyoning.
Aber es gibt noch eine andere Anekdote: Die Grundschullehrerin unserer Zwillinge machte in Baden Urlaub. Ich hatte ihr das Strandbad empfohlen, auch den Weg beschrieben, aber sie fand es nicht: Sie dachte, es wäre ein Schloss! Also nur, falls du es mal suchst…
Mein Weg führt mich am Strandbad entlang, über die Brücke der Schwechat, des Baches der auch hinter meinem Elternhaus fließt und an dessen Ufern ich so viele Stunden gespielt habe. Gleich gegenüber steht die Villa Hahn, erbaut vom Architekten Otto Wagner Anfang des 20. Jahrhunderts. Und das ist – Fakt Nummer Neun! Wie oft bin ich da schon vorbeigefahren, ohne die geringste Ahnung zu haben!
Heute fotografiere ich den Neptunbrunnen davor, und ehrlich: Ich habe keine Ahnung, was der Jüngling am Fuße des Neptun tut! Das kannst du überprüfen, indem du das Foto vergrößerst. Und nein, das zählt nicht als Fakt.
Vor der Villa geht es jetzt links zurück Richtung Stadtmitte. Auch wenn der Weg schön ist, so zieht er sich ein wenig bis zum Sauerhof. Erbaut wurde er über der Sauerhofquelle, deren Überlauf in die Schwechat geht. Überhaupt liegen einige Quellen in dem Bachbett oder direkt daneben: Unbekannter Fakt Nummer Zehn.
Übrigens: Im Sauerhof hat schon Beethoven logiert. Wo genau weiß ich nicht, aber die Sinfonie Nr. 9 entstand in Baden.
Die Sauerhofquelle wird heute nicht genutzt, weil der Sauerhof, Kuranstalt und Hotel schon seit Jahren verkauft und renoviert, oder doch nicht verkauft und renoviert wird. Mal sehen, was daraus wird! Sollte das mit dem Weltkulturerbe klappen, stiegen die Chancen auf eine Wiederbelebung sicher.
Gegenüber dem Sauerhof, auf der anderen Seite der Schwechat, liegt das Franzensbad, das heute einen Haman beherbergt. Ich gehe nur bis zur Mitte der Brücke, für ein Foto der Quelle und dann weiter Richtung Raiffeisenbank. Ich überquere die Straße, lasse Bank und Kreisverkehr rechts liegen – übrigens ist der Blumenschmuck auf diesem und in ganz Baden bei Wien einfach zauberhaft!
Nach wenigen Schritten stehe ich vor dem Haus links, das die Marienquelle beherbergt. Etwas heruntergekommen wirkt es, also zurück zur Brücke und rechts über diese. Ich versuche einen Blick auf den Überlauf der Quelle zu erhaschen, das gelingt mehr schlecht als recht.
Ich gehe weiter zum Josefsplatz, vorbei an dem Optiker, der mir meine ersten Brillen anpasste. Unter dem Platz liegen einige Quellen, die Josefsquelle, die das Josephsbad, heute Steakrestaurant, speiste, die Bohrung I, gleich daneben die Frauenquelle des Frauenbades. Kurz halte ich inne, mache mir bewusst, dass unter meinen Füßen, quer durch Baden ein Labyrinth von Rohren und Pumpen gehen muss: Thermalwasser, das an seinen Bestimmungsort gebracht wird, Trinkwasserleitungen, Abwasserkanäle, der Mühlbach… Fakt Elf.
Ich spaziere jetzt nach rechts, bis links der Zaun des Gymnasiums Frauengasse vor mir auftaucht. Früher war das einfach das Mädchengymnasium, und ja da war ich auch. Meine Lehrerinnen waren allerdings der Ansicht, dass ich sprachlich völlig unbegabt bin, worauf mich meine Eltern aufs Bubengymnasium schickten: Ich bin den beiden Damen bis heute für diese Fehleinschätzung unendlich dankbar! Bei den Buben – wir waren zwei Mädchen in der Klasse – war es nämlich viel lustiger!
Gegenüber, in der Frauengasse 8, wohnte Zar Peter I der große im Jahre 1698, um ein paar Tage lang in Badens Bädern zu kuren. Auch Johann Strauß lebte in diesem Haus von 1877 bis 1881.
Ich schlendere an der Schule vorbei zum Hauptplatz mit der Pestsäule vor dem Kaffee Zentral, wo einige meiner heute honorablen Schulkameraden die Schulstunden verbrachten. Wer, verrate ich nicht, aber wenn du in Baden wohnst, hast du den einen oder anderen Namen schon gehört! Sie waren in guter Gesellschaft, wenn auch etwas spät dran: Fürst Metternich und Kaiser Franz planten in dem Palais, das heute Kaffeehaus ist, den Wiener Kongress. Die anderen Treffpunkte meiner Schulkameraden waren diverse Heurigen und das Batzenhäusl neben dem Theater. Dorthin gelange ich, indem ich bei der ersten Gelegenheit nach rechts abbiege, nicht ohne kurz vorher meinen Lieblingswollgeschäft einen Besuch abzustatten.
Wir sind jetzt gleich wieder am Theater, in dem auch regelmäßig Aufführungen der Ballettschule stattfanden. Einmal wettete ich mit einem Tanzpartner, dass ich bei den Proben von der Loge auf die Bühne klettern würde. Wenn ja, müsste er mir während der Aufführung eine rote Rose überreichen: Hat er gemacht!
Ein paar Schritte weiter, und ich bin wieder an der Kirche.
INFO Baden bei Wien
Baden ist nur eine halbe Stunde per Schnellbahn von Wien entfernt! Oder eine Stunde mit der Badner Bahn, Haltestelle bei der Oper. Ein Tagesausflug lohnt sich.
*Baden bei Wien, Karlsbad, Marienbad und Franzensbadin Tschechien, Baden-Baden, Bad Ems, Bad Kissingen in Deutschland, Spa in Belgien, City of Bath in Großbritanien, Vichy in Frankreich und Montecatini Terme Italien.
Wegweiser zu den einzelnen Quellen, oder sowas wie einen Quellenweg gibt es in Baden bei Wien leider nicht. Das soll alles mit dem Geld von der UNESCO kommen – vorausgesetzt die Bewerbung als Weltkulturerbe ist erfolgreich. (War sie!)
Parkplatz Pfarrkirche St. Stefan – Sommerarena – Ursprungsquelle – Römerquelle – Badner Hof – Mozartstraße – La Buona Casa – Doblhoffpark – Rosarium – Strandbad – Villa Hahn – Sauerhof – Marienquelle – Josefsplatz – Hauptplatz – Parkplatz ~ 5,7 km und 7500 Schritte
Dieser Blogbeitrag ist Teil der Heimatliebe-Karte von Teilzeitreisender
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