In der Besucherritze

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Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich mich in meinem Alter noch mal heimlich auf das Zimmer eines Mannes schleichen muss!

Noch dazu meines Mannes!

Als ich Tomy kennenlernte, wohnte er, 25, in der Nähe von Köln, ich, 19, in der Nähe von Wien. Uns trennten rund 930 km und konservative Eltern. Ich sehe meine Schwiegermutter noch heute nervös vor uns am Sofa sitzen und, aufgestachelt von meiner Mutter, etwas von Verhütung zu erzählen! Immerhin durften wir bei meinen Besuchen in einem Zimmer schlafen. Bei meinen Eltern war das anders: Ich schlief in meinem Zimmer, Tomy im Zimmer daneben. Dazwischen lag das Wohnzimmer, in dem mein Vater jeden Morgen Musik hörte. Tomy stand jedem Tag vor dem gleichen Problem: „Wie komme ich morgens aus meinem Zimmer zur Toilette?“

Auch auf dem Bauernhof, dort wo wir einander kennengelernt hatten, galt es bei den gemeinsamen Urlauben – damals noch mit den Eltern – den Schein zu wahren. Da ich mit der Tochter des Hauses seit meiner Kindheit gut befreundet war, schlief ich offiziell in ihrem Zimmer. Somit konnten meine Eltern so tun, als wüssten sie von nichts… Allerdings teilte Tomy das Zimmer mit seiner Schwester. Sie ging jeden Abend mit einer Urlaubsbekanntschaft aus und warf einen Schneeball ans Fenster, wenn sie wieder heim kam. Ich verdrückte mich dann leise in das Zimmer meiner Freundin.

Wir lachen heute noch darüber!

Bis zum letzten Wochenende.

Vor fünf Wochen wurde bei Tomy ein kitzekleines Prostatakarzinom diagnostiziert. Der Rat des Arztes war: „Raus damit, segeln gehen und 90 Jahre alt werden!“ Da Tomys Vater aus welchen Gründen auch immer diesen Rat nicht beherzigt hatte – oder ihn auch nie bekam – und daran mit 68 Jahren gestorben ist, gab es für uns keine Alternative: Operation, und zwar schnell: Montags kam die Diagnose, freitags die OP, keinerlei Komplikationen, alle Untersuchungsergebnisse sind bestens.

Wir wären nicht wir, wenn wir nicht das Beste aus der neuen Situation machen würden. Und das Beste für mich ist die Bilanz unserer Beziehung, die man in so einer Situation unwillkürlich zieht: Ich bereue nichts. Es gibt nichts, das ich Tomy vorwerfen könnte. Nichts, dass ich mir vorwerfen könnte. Nichts, das ich dem Leben vorwerfen könnte – nichts, das ich anders machen wollte oder lieber anders gemacht hätte. Wir haben wunderbare Kinder und Enkelkinder, wir segeln, so weit wir kommen, wir genießen unser Leben und vor Allem einander. Wir hassen es immer noch, getrennt zu sein, und genießen jeden Augenblick miteinander.

Das ist einfach großartig!

Tomy wollte zur Anschlußheilbehandlung in eine Klinik in Bad Wildungen. Und deshalb musste ich mich am Wochenende in sein Zimmer schleichen. Er hatte ein Doppelbett. Das hätte ich aber nur benutzen dürfen, wenn ich mindestens sieben Tage dort geblieben wäre. Ich wollte ihn aber nur übers Wochenende besuchen. Da hätte ich mir anderswo ein Zimmer nehmen müssen. Wir glauben aber beide, dass nichts schneller gesund macht, als in den Armen des anderen einzuschlafen…

Und so schlich ich mich eben heimlich in sein Zimmer…

stopfte ein Handtuch in die Besucherritze und lachte darüber!

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