Where the f… is(t) Surinam?

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Surinam trat in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in mein Bewusstsein: Ich war mit meinem damaligen Freund Tomy zum ersten Mal in Roermond und wunderte mich über die vielen surinamischen Restaurants dort. Die Kellner darin sahen indonesisch aus, auch klang der Name so südostasiatisch: Ich vermutete, das Land lag irgendwo da unten. Zu Hause angekommen schlug ich sofort im 40+bändigen roten Wörterbuch, das unsere Wohnzimmerwand zierte, unter S nach. Wie groß war das Erstaunen: Surinam ist das kleinste Land in Südamerika und war einst holländische Kolonie. Damit war meine Neugierde erst mal gestillt und das Land verschwand recht schnell wieder in der untersten Schublade für Kuriositäten in meinem Unterbewussten.

Und jetzt sind wir dort. Oder da. Also in Surinam!

Das Land erstaunt mich immer wieder, denn es hat einige Kuriositäten und Besonderheiten zu bieten:

  • Es ist das einige Land der Welt, in dem eine Synagoge neben einer Moschee liegt
  • Die älteste Synagoge auf amerikanischem Boden stand in Surinam
  • In der Hautstadt Paramaribo steht das größte Bauwerk aus Holz in Südamerika und es ist eine Kirche
  • Die Bevölkerung ist bunt gemischt, von der Herkunft her und auch aus religiöser Sich
  • Nasi oder Bami? Das ist hier die Frage
  • Der Präsident wird per internationalen Haftbefehl gesucht wird
  • Es gibt jede Menge Casinos und Drive-Through-Money-Exchange
  • Hier wurden aus Sklaven freie Maroons
  • Es hat ein Österreichisches Konsulat
  • Die meisten Menschen sprechen mindestens zwei Sprachen
  • Und fühlt sich ein wenig wie Holland an
  • Holland machte einst einen territorialen Tausch, so dumm, wie Helgoland gegen Sansibar einzutauschen
  • Jedem hier ansässigen Chinesen gehört ein Warenhaus oder er arbeitet in einem
  • Surinamer haben einen Vogel
  • Und sie fahren auf der falschen Seite durch unglaubliche Schlaglöcher

So. Nach diesem assoziativen Sturm durch mein Gehirn versuche ich das jetzt in historischen Zusammenhang zu bringen, der für dich vielleicht etwas mehr Sinn ergibt. Keine Angst, ich mach es so kurz wie möglich!

1595 landeten die Spanier in der Gegend, benannten sie nach den Surinen, einem Indianerstamm, beanspruchten sie für die spanische Krone und vergaßen sie. Holländer und Engländer ließen sich nieder, wurden aber ähnlich wie in F. Guyana von den Indianern oder den Moskitos verspeist. Die einzige nennenswerte Siedlung anfangs des 17. Jahrhundert errichteten sephardische Juden im Jahr 1630. Etwa 1650 ließ sich ein Engländer in der Gegend des heutigen Paramaribo nieder, gründete Willoughbyland, legte die ersten Plantagen an und brachte die ersten Sklaven ins Land. Kurz darauf eroberten die Holländer die Kolonie und taten, was sie am besten können: Kanäle bauen. Letzteres ist meine Interpretation, denn Kanäle, die den Sumpf an der Küste entwässern, gibt es hier zu Hauf.

Eine Schleuse!

Eine Schleuse!

1670 gründeten sephardische Juden den Ort Jodensavanne und bauten dort die erste Synagoge auf amerikanischem Boden. Leider gibt es den Ort nicht mehr. Und der Kuriosität willen sei noch angeführt, dass es hier auch noch die Herrenhuter Brüdergemeinde, eine protestantisch orientierte Gemeinde, die in Böhmen entstand und heute über eine Million Anhänger hat, gibt. (Sklaven hielten sie auch, genauso wie die Juden.)

Im Zentrum steht die Peter und Paul Kathedrale, das größte hölzerne Gebäude Südamerikas, quasi neben dem österreichischen Honorarkonsulat. Beide Gebäude sind hübsch anzusehen.
Ach ja, hier wird links gefahren und die Straßen sind schief, weil sie wegrutschen. Und voller Löcher…

Das österreichische Honorarkonsulat in Paramaribo

Das österreichische Honorarkonsulat in Paramaribo

Zucker war im 17. Jahrhundert wertvoller als Gold, ein Sklavenleben nichts wert, vielleicht stieg den Holländern auch die Hitze oder das Fieber zu Kopf – sie dachten sich besonders grausame Strafen aus. John Gimlette beschreibt die Exzesse in seinem Buch – das muss nicht wiederholt werden. Die ersten Sklaven liefen aber schon den Engländern davon, nur Männer. Sie stellten schnell fest, dass sie Frauen brauchten, um zu überleben, ebenso Lebensmittel und Waffen. Also überfielen sie die Plantagen, stahlen die Frauen. Lebensmittel und Waffen und brachten die Bewohner um, auch hier gab es unglaubliche, grausame Exzesse. Es kam zum Krieg und 1762 zum Friedensvertrag zwischen den Saramaka, den Stamm, der aus den ersten Flüchtlingen entstand, und der holländischen Krone. Dazu gibt es natürlich noch sehr viel mehr zu erzählen, das kommt später, wenn ich von unserem Ausflug ins Saramaka-Dorf erzähle.
In Folge der napoleonischen Kriege fielen Teile von Surinam wieder an England. Im Zuge der Friedensverhandlungen tauschte Holland dann seinen nordischen Sumpf gegen den Sumpf der Engländer im Süden des Kontinents ein: Aus New Amsterdam wurde New York und Surinam bekam seine heutige Form, in etwa halt. Ganz einig sind sie sich mit ihren Nachbarn bezüglich der Grenzen immer noch nicht.

1863 erhielten die Sklaven in Surinam die Freiheit, mussten aber noch weitere 10 Jahre auf den Plantagen gegen Bezahlung arbeiten. Danach holten die Plantagenbesitzer Vertragsarbeiter ins Land. Die ersten neun kamen 1853 aus China, danach wurden Inder, Hindus, als ins Land geholt, 1890 dann Javaner. Und mit ihnen Bami oder Nasi.
Kurz gesagt sind Bami Nudeln, Nasi Reis, eine Portion würde eine vierköpfige Familie füttern, darauf kommen Kip, Huhn, für eine Person und Fadenbohnen für eine halbe Person. Es schmeckt gut, sagen wir, einmal in vierzehn Tagen. Aber obwohl der surinamische Tourismusverband mit der kulinarischen Vielfalt und vor allem der javanischen Küche wirbt – an jeder Ecke gibt es einen Warong, einen indonesischen Fast-Food-Laden, und der verkauft: Bami oder Nasi. Selbst die Chinesen bieten nicht viel Anderes an. Außerdem meint jeder Touranbieter, er müsse den Touristen authentisches surinamisches Essen bieten: Bami oder Nasi?

Die Indonesier brachten auch den Islam, an jeder Ecke steht eine kleine Moschee, daneben vielleicht eine Kirche, dahinter aber ganz sicher das Haus eines Hindus mit roten Fähnchen um den Hausaltar im Garten. Deren Tempel lassen sich manchmal auf den ersten Blick nicht von den Moscheen unterscheiden, Türmchen haben sie alle…

Interessant ist, dass die Hindustani, wie sie hier heißen, ihre Häuser meist aus Ziegeln bauen, ach was sag ich da, manchmal sind es gleich indische Paläste, die Javaner aber Häuser aus Holz bevorzugen.
Heutzutage kommen viele Chinesen, die sogenannten neuen Chinesen. Im Gegensatz zu den alten Chinesen bleiben sie unter sich und sprechen kaum holländisch. Sie haben den Handel fest in ihrer Hand: Ob Tante Emma Laden (alter Chinese) oder Warenhuis (neuer Chinese), sie sind chinesisch. An den Hauptstraßen, wo grad keine Moschee und auch kein Tempel steht, reiht sich ein Warenhaus an das andere. Erst fragte ich mich, wozu es so viele gibt, sie sind ja meist riesig. Aber sie haben alle etwas gemeinsam: Es stinkt darin nach Naphthalin, sie sind chaotisch sortiert (Fischkonserven neben Schokolade), bieten wenig Auswahl (außer an Haarspangen) und außerdem sind sie eher DDR-mäßig befüllt. Was soll ich mit drei Dosen Radler? Obwohl, wenn ich darüber nachdenke: Ich könnte in jedem Laden locker eine Tonne Reis kaufen – ich sage nur „Nasi“, – und außerdem etwa 1000l Frittieröl.

Alter Chinese

Alter Chinese

Neuer Chinese

Neuer Chinese

Zurück zur Geschichte: Am 25. November 1975 wurde Surinam unabhängig. Jeder, der damals einen holländischen Pass wollte, bekam einen, sprich Wissen und Mittel liefen dem Land davon. Auf der Straße sprechen die Menschen Sranan Tongo, eine Sprache, die aus allen anderen je hier gesprochenen Sprachen entstand, mit den Touristen wird Englisch gesprochen. Die offizielle Sprache ist Nederlandse, und das, gemeinsam mit den vielen Kanälen, Holland-Häusern und den bunten, ach so holländischen Menschen gibt mir mehr das Gefühl in Europa zu sein, als ich es in Französisch Guyana je hatte.

Obwohl, manchmal ist es auch wie in Indien, China oder Java!pflanzen-suriname-1726

Kurz nach der Unabhängigkeit und demokratischen Wahlen putschte sich ein Herr namens Desire Bouterse an die Macht. Daraufhin verhängten die USA, das Mutterland und der Rest der demokratischen Welt ein Embargo über Surinam. Herrn Bouterse ging also bald das Geld aus, und so musste er sich etwas einfallen lassen. Sein Ruf war eh schon hin, nachdem 15 Journalisten und Universitätsprofessoren auf der Flucht aus der Haft erschossen worden waren. So die offizielle Version, doch konnte der Verdacht, dass Mr. B. höchstpersönlich für die Dezembermorde verantwortlich war, nie ausgeräumt werden. So gesehen, war der Handel mit Kokain fast moralisch – und beweisbar: Der Sohn des Präsidenten sitzt in den USA wegen Kokainhandels, er selbst wird per internationalem Haftbefehl aus denselben Grund gesucht. Als Präsident genießt er allerdings Immunität, er darf nach dem Völkerrecht nicht vollstreckt werden.

Der Präsidentenpalast

Der Präsidentenpalast

Waschmaschinen, auch Casinos genannt, in denen abends das Geld verspielt wird, gibt es jedenfalls immer noch genug in Paramaribo, ebenso Drive-Through-Money-Change. Vielleicht wird dort auch das illegal gefundene Gold gewechselt… (Ich vermute, die Hindustani, haben da ihre Finger im Spiel, sofern sie keine Fischer oder Baumeister sind. Meine Quelle wollte da nicht so recht mit der Sprache heraus, als ich fragte, womit diese im Allgemeinen ihr Geld verdienen)

Desi Bouterse führte jedoch wieder die Demokratie ein, blieb aber Armeechef. 1986 erhoben sich einige Maroons im östlichen Surinam unter der Führung von Robbie Brownswijk. Ihnen bleibt ja von dem Kuchen bis heute nicht viel übrig, ich wage mal zu behaupten, die machen immer noch die Drecksarbeit. In der Folge ließ Bouterse Brownswijks Heimatdorf den Erdboden gleich machen, Frauen und Kinder wurden ermordet. Auch andere Dörfer wurden niedergebrannt, tausende Maroons vom Stamm der Ndyuka, aber auch andere, flohen nach Französisch Guyana. Und Bouterse gilt jetzt auch als Kriegsverbrecher.

Und trotzdem ist er seit 2010 der gewählte Präsident des Landes, eines erstaunlich friedlichen Landes, mit freundlichen, offenen Menschen, die die eine blutige und grausame Vergangenheit offensichtlich ohne Groll hinter sich gelassen, aber nicht vergessen haben. Sie leben wild durcheinander, aber nicht immer gemischt – ein schwarzer Partner gilt bei den Hindustanis immer noch als Schande und die neuen Chinesen, für die Surinam angeblich nur eine Station auf dem Weg zu Geld und in die USA ist, bereiten auch Probleme. Manche Hütten wirken sehr arm, andere sehr reich, aber die Zäune drum herum sind mehr Prestige als Schutz. Sie sehen aus, wie die im Osten Österreichs – mal rostig, mal goldig.

Ein Zaun wie daheim ;-)

Ein Zaun wie daheim ;-)

Das Völkergemisch führt auch zu einer Art babylonischer Verwirrung: Die Inder sprechen Hindi, das Fernsehen holländisch, mit den Ausländern wird Englisch gesprochen. Auf der Straße unterhalten sich die Menschen in Sranan Tongo, der Zunge Surinams, ein Gemisch, das etwa zu 50% aus afrikanischen Sprachen, 20 % Portugiesisch besteht und ansonsten alle hier je gesprochenen Sprachen enthält. Jeder Maroon-Stamm hat auch eine eigene Tongo, die zwar ähnlich den Sranan Tongo ist, aber doch anders. Die Chinesen sprechen chinesisch und wer weiß, wer hier noch alles in fremden Zungen spricht!

Die Vögel allerding singen, je schöner, desto besser für ihre Besitzer. Ein Mann, der einen Vogel im Käfig spazieren führt, mit ihm ins Warong geht, oder mit ihm Motorrad fährt, sprich: ihn lüftet, ist ein ganz alltäglicher Anblick. Die Singvögel werden trainiert, schön zu singen und jeden Sonntag treffen sich die Vogelbesitzer zu einem Wettbewerb am Independence Square. Finken, die besonders melodisch zwitschern, sind ein halbes Vermögen wert. Es soll Männer geben, die ihren Vogel besser pflegen und mehr lieben als ihre Frau …

Songbird Contest

Songbird Contest

Schon seltsam, was wir Menschen unter Liebe verstehen – da sperren Männer ein kleines Vögelchen in einen Käfig, damit es für sie arbeitet, sie zeigen ihm die Freiheit, die frische Luft, aber keiner kommt drauf, dass wahre Liebe Freiheit schenkt…

Surinam ist ein Land, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Tradition friedlich nebeneinander her leben, sich nicht mischen und sich doch jeder einzelne als stolzer Surinamer versteht. Es hat eine reiche Kultur, es ist ein wunderschönes Land und birgt viele Geheimnisse. Es ist faszinierend!

Lass es nicht links liegen auf deinem Weg in die Karibik, steuere es an! Lass dir genug Zeit, es wird dir gefallen! Denn Surinam hat noch viel mehr zu bieten – bleib gespannt auf die nächsten Berichte!

Du warst schon mal da? Hinterlasse deine Eindrücke in einem Kommentar, danke!

INFO Surinam

Quellen für den Artikel sind unsere hiesigen Führer Jozef von Jozefecotours.com und Sanne von waterproofsuriname.com. Außerdem das schon oft erwähnte Buch von John Gimlette und der englische Surinam-Führer sowie diverse lokale Broschüren des Tourismusverbandes.

Reise- und Revierführer als PDF!

Hier geht es zu einem weiteren gutem Artikel über Suriname von reiseschreibe.de

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